Ich stehe am Check-in für den Austrian Airlines Flug Wien nach Tirana und schaue mich um. Die Haare werden bei den Herren dunkler, die Köpfe quadratischer und bei den Damen die Röcke kürzer. Richtig, es geht Richtung Osten bzw. auf den Balkan.
Landeanflug auf Tirana. Ich verrenke mir den Hals auf Sitzplatz 17 D. Erstaunlich hügelig eingebettet liegt Tirana. Die Hügel mit einem bizarren herbstlichen Rotstich. Landung zwischen grünen Wiesen und halbfertigen Bauten, dafür mit kleinem, charmantem Flughafen. Ein einsames neues Gebäude, man geht zu Fuß übers Vorfeld. Kurzes Nicken, Stempel, willkommen in Albanien.
So weit so gut. Nächster Schritt: Geldwechsel. Erster Schalter, obwohl besetzt sagt man mir er sei geschlossen. Die Zweite von insgesamt zwei Airport Wechselstuben ist ebenfalls besetzt und offen, aber der Angestellte rät mir eindringlich hier kein Geld zu wechseln wegen des miserablen Kurses?!! Ich dachte die kommunistische Denke gebe es nicht mehr. Ich gehe zum Geldautomaten, und bekomme ohne Warnung statt Lekis Euros. Mit saftiger Provision. Hier ist der Kapitalismus also voll angekommen. Flughafen Mutter Theresa von seiner gütigen und barmherzigen Seite. Ich will diese Euros trotz miesem Kurs in Lekis wechseln, jetzt sagt mir der Angestellte er habe nun geschlossen. Sorry.
Ohne zu zucken nimmt der Busfahrer Euros und wechselt in Lekis. Geht doch! Die einspurige Landstraße Richtung Zentrum Tirana wird konsequent dreispurig genutzt. Vornehmlich von alten Mercedes der 90ger Jahre. Albanien hat einen Mercedes Fetisch.
Der Stern ist mehr als nur Statussymbol. Fast 50% aller Fahrzeuge sind Mercedes, Ersatzteile bekommt man selbst im tiefsten albanischen Outback. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kamen viele Automarken, aber vor allem Mercedes hat die teils halsbrecherischen Schlaglöcher Albaniens überlebt. Das hat beeindruckt. Bis heute.
Albanien zeigt nicht diese kommunistische Härte in seinen Bauten und Plätzen wie der restliche Balkan. Natürlich haben viele Gebäude diesen trostlosen, brutalen Betonismus, aber gerade Tirana arbeitet nicht gegen die Vergangenheit, sondern bindet sie mit ein.
Neue, hippe Cafés und Bars werden kreativ in alte Gebäude gesetzt und sorgen so für einen einzigartigen Charme wie das Artigiano.
Albanien ist eine junge Gesellschaft. Tirana virbirert, ohne aufgeregt zu sein. Mildes, mediterranes Flair. Palmen am Straßenrand. „Italbanien“ strahlt Gelassenheit aus und lebt umwerfende Gastfreundlichkeit.
Ein international unauffälliges Land mit kuriosen Bauten. Die Pyramide von Tirana, einst zu Ehren von Staatsführer Enver Hoxha gebaut. Heute Bauruine, Aussichtspunkt und Parkur-Kulisse der Tiraner Jugend.
Ebenfalls eigenartig der Platz der berühmtesten Persönlichkeit: Mutter Theresa. Einmal das große Nichts, aber er passt zum Leben von Néné. Bescheiden, unaufgeregt und doch schillernd.
Beim Zug durch Tirana spült es mich ins alte Stadiumi Selaman Stermasi. Zweite albanische Fußballliga. Keine leichte Kost. Vor 158 Fans vom KF Tirana. Gast Fans von Apolonia Fier – Fehlanzeige. Gefühlt für jeden Stadionbesucher ein Polizist. Der Platz ein besserer Acker. 2:0 Heimsieg.
Die 80 Tirana Ultras feiern 90 Minuten durch. Es riecht nach Pisse und unter den Schuhen knirschen Pistazienkernschalen. Mehr als die 300 Leki (umgerechnet ca. 2 €) Eintritt ist das Gerumpel definitiv nicht wert.
Albanien ist eine stille Nation. Wenig Krawall, keine Show. Man macht einfach und marschiert so stetig nach vorne. Eine Gesellschaft im Aufbruch und Aufschwung.