GeORGIEen, was frivol klingt, entpuppt sich als eigentlich sehr westlich. Erstaunlich westlich sogar. Es ist eines dieser aufgeräumten Ziele, welches sich vermutlich eher polyglotte Traveller raussuchen, die London, Paris, Athen schon längst „Auf Nimmer-Wiedersehen“ gesagt haben.
Georgien versprüht einen Hauch Exotik garantiert aber absolute Sicherheit. Die Ankunft am Airport Tbilissi ist direkt schon das erste Highlight. Bei der Passkontrolle bekommt der Gast, neben dem Stempel, als „Geschenk des Präsidenten“ eine Flasche Rotwein vom Zollbeamten überreicht.
Man hat schon viel erlebt, aber bei der Einreise erstmal mit Alkohol versorgt zu werden, ist irgendwie schräg. Generalstabsmäßig organisiert zudem der Taxi Service vom Flughafen in die Stadt. Man wird am Gepäckband abgepasst, und quasi dem Kollegen nach dem Zoll übergeben, der an den Fahrer übergibt. Je nach Zone, in welche man möchte, sind die Preise festgelegt. Die Taxi Fahrer tragen Westen mit „Airport Taxi“ Aufschriften, damit ja auch keiner auf die Idee kommen könnte, man würde hier übers Ohr gehauen.
Auf einer hervorragend, überraschend breiten Straße geht es dann schnörkellos nach Tiflis. Auch entbehrt es nicht einer gewissen Komik, dass die Straße George W. Bush Street heißt. Eine der größten und modernsten Straßen Georgiens ist nach dem ehemaligen Präsidenten der USA benannt.
In 2005 war Walker erstmals in Georgien und hat sich im Konflikt mit Väterchen Russland 2008 auf die georgische Seite gestellt, was Georgien die Unabhängigkeit bewahrt hat, aber auch einen harten Gegner: Russland.
So geht es vorbei an den typisch lieblosen Wohnsilos, die aussehen wie überdimensionierte Legebatterien, in denen jede Wohnung identisch ist. Bei all der Geradlinigkeit der Gebäude und der George W. Bush Street, kommt wieder das Komische am Schluss. Mit einer doppelten Haarnadelkurve endet die bolzgerade Bush Allee und man ist direkt im Zentrum von Tiflis.
Das alte Tiflis ist alles andere als gerade. Alles ist schief, massiv Einsturz-gefährdet oder beides. Kopfsteinpflaster und baufällige Backsteinhäuser neben Bretterbuden, das alte Tiflis ist eine in die Jahre gekommene Puppenstube. Aber Tiflis soll das neue Berlin sein. Es wird sehr viel gebaut und gentrifiziert. Super-Styler Hotels und/oder Bars wie das Stamba machen Tiflis zum neuen Hotspot.
Eigentlich ist Tiflis weder besonders modisch, noch besonders schön, noch besonders spannend. Es hat aber eine gewisse Künstleraura, etwas Unberechenbares, was es interessant macht. Wie Berlin eben. Nur hat Tiflis nicht diese Schnodderigkeit, Georgier sind sensationell herzlich und gastfreundlich.
Gastfreundlich bzw. lustig auch die Schrift. Georgisch sieht aus wie Thailändisch. Viele runde Buchstaben, die zusammen eher wie ein Bilderrätsel mit halbfertigen Kreisen aussehen. Mchedruli – das georgische Alphabet! Aber der freundliche Georgier setzt unter jedes Schild immer gleich die Übersetzung auf Englisch. Der ausgestreckte Mittelfinger für Väterchen Russland! In your face, sozusagen.
Apropos, Gesicht. Georgische Nasen. Das Land der Super-Nasen. Breit, dick und knubbelig – genauso wie Man(n) oder Frau sie heutzutage NICHT haben möchte. Eine Klinik für Nasen-OPs wäre the money business in Georgien. Wer es sich eben leisten kann, denn so billig wie vermutet ist Georgien nicht.
Man hat sehr wohl verstanden, dass der Tourist Geld in der Tasche hat, welches er gefälligst auszugeben hat. Für die Gondelfahrt über die Altstadt, das Dümpeln auf der Kura oder an einem der viel zu vielen Touristenständen in der Altstadt.
Ein Umstand, den man wohl mit der westlichen Vermarktung in Kauf nehmen muss. The show must go on! Dabei sind es die Eigenarten, die andere Länder oder Städte hervorstechen lassen. Auf den Flohmärkten bietet man nicht nur Nippes, sondern gleich die ganze Wohnung zum Verkauf an. Man sollte also genügend Cash auf Tasche haben, möchte man sich im Vorbeigehen eine georgische Immobilie zulegen.
Im eher beschaulichen Tiflis sind die Rolltreppen der Metros ein Highspeed Erlebnis aus dem letzten Jahrhundert. Menschen mit Höhenangst oder Respekt vor hoher Geschwindigkeit bitte Finger weg lassen.
Die Rolltreppen zur Metro haben Kirmes-Charakter. Sie rumpeln noch über Rollen. Dazu sind sie sehr steil und noch länger. Nicht wenige setzen sich auf die großen, bequem aussehenden Stufen, denn die Fahrt in die Tiefe kann locker eine Minute dauern. Das Ganze rollt in einer Geschwindigkeit, die dir die Frisur trocken föhnt. Wer stoppt verliert, nichts für Fußkranke beim Einstieg auf die schnellste, steilste Gerade der Welt.
Aber kommen wir nochmal auf die Schrägheit Georgiens zurück. Ist es Absicht, ist es Humor oder ist es einfach so und amüsiert den Gast? Diese Fragen werden sich nicht abschließend beantworten lassen. Georgien hat Rechtsverkehr, d.h. das Lenkrad links. Da aber japanische Importautos deutlich billiger sind, und in Japan Linksverkehr herrscht, fahren 30% der Georgier mit dem Lenkrad auf der „falschen“ Seite. Scheint aber niemanden wirklich zu stören. Ist nur eine Gewohnheitssache.
Gewohnheits- oder Geschmacksache ist auch die neue Architektur. In Altes Neues zu bauen hat sich inzwischen rumgesprochen. Man bewahrt die alte Identität, verpackt diese aber in den heutigen Lifestyle, das was man dann als Industrial Chic bezeichnet, kommt heraus. Aber es gibt auch die geschmacklichen Fehlgriffe, das ist nichts per se Georgisches, das gibt es überall. Nur in Tiflis fällt es sofort ins Auge. Die neue Friedensbrücke sieht aus wie eine gestrandete Glasmuschel. Grotesk. Noch bescheuerter – das Parlament im Rike Park. Man könnte natürlich sagen, wenigstens ist man im Meeresthema geblieben. Zwei halbe Krakententakeln, gestrandet am Ufer der Kura. Eine GeOrgie fürs Auge.