Wir leben in Denkmustern, getrieben von unseren Vorurteilen und Wertevorstellungen. Bei dem Namen Libanon kommen vermutlich viele jener „Einflüsterer“ zum Tragen, welche sagen: In den Libanon reist man nicht, weil: kriminelle Clans, Unruheherd, Wirtschaftskrise und Hyperinflation. Touristische Attraktionen – Fehlanzeige. Armut, Dreck und Gewalt. Kurz: ein weiterer verlorener Staat in den undurchsichtigen Wirren und Unruhen des Mittleren Osten. Sprich, definitiv kein Reiseziel für den Mainstream.
Vorurteil und Realität, im Fall von Beirut trifft beides zu. Es ist die Stadt der zwei Gesichter. Die hässliche Fratze präsentiert sich schäbig, verschmiert, bröckelnd und abstoßend.
Unfertige Boardwalks direkt am Meer, die keinen Anfang und kein Ende haben, brutale mehrspurige Stadtautobahnen, die das Überqueren zum Himmelfahrtskommando werden lassen, ehemalige Diskotheken, Shops, Bazare, Hotels und Wohnhäuser– die einfach nur sich selbst, dem Zerfall, der salzigen Luft, Müll, Ratten und Fäkalien überlassen worden sind. Eine Stadt, ein Land, welches am Abgrund taumelnd, sich selbst beim Scheitern zusehen kann.
Symptomatisch und beispiellos, im weltweit fein justierten Zusammenspiel von UTC, GMT & CET, schafft es der Libanon kurzfristig zwei Uhrzeiten gleichzeitig gelten zu lassen. Sich nicht dem Diktat der Zeit zu unterwerfen ist der Luxus des Müßiggängers, allerdings braucht es Klarheit für Krankenhäuser, Flughäfen und Meetings. In Tragik steckt immer auch eine gewisse Komik, aber man spürt diese Zerrissenheit, welche das Land innerlich aufwühlt und äußerlich als gescheitert gelten lässt. Es geht dabei nicht nur um Religion.
Militärischer Händel mit Israel und dem Iran, Bürgerkrieg, zeitweilig sogar ein geteiltes Beirut. Der Osten christlich, der Westen muslimisch. Ein Pulverfass mit kurzer Lunte. Das war es mal – nur haben Krieg, Beiruts Hafenexplosion und Korruption das Land dermaßen niedergestreckt, dass es nur mühsam wieder auf die Beine kommt. Heute hat das Land keine Kraft mehr für religiöse Animositäten. Es geht um seine Existenz.
Ein Land, welches in den 70gern ein Treffpunkt des Jetsets war. Mondäne Etablissements wie das Caves du Roy und gediegenes Ambiente. Das andere Gesicht von Beirut. Strahlend, elegant, Paris des Ostens mit prächtigen Stadtvillen, breiten Alleen, mediterranem Lebensgefühl und feinster Küche. Beirut gibt dem heutigen Gast das Gefühl zu spät zu kommen. Viel zu spät. Gut 50 Jahre zu spät. Damals, als es voran ging nach der Unabhängigkeit von Frankreich, allerdings die frankophone Eleganz und ihr Savoir-vivre geblieben sind, das war die Prime des Libanon.
Lange her, und man sieht es, aber vielleicht ist es gerade das, was den Libanon so faszinierend macht. Es ist kein gerader Lebensweg. Der Libanon scheitert, er stolpert, fällt, rappelt sich hoch und taumelt weiter. Gastfreundlich und offen wird der Gast begutachtet. Direkter Blickkontakt ist keine Seltenheit.
Innovative Cafékonzepte entstehen, durchgestylte Saj-Läden bieten traditionelle libanesische Küche, die Bars spielen Live-Musik und die Hipster Crowd inszeniert sich selbst. Notstromaggregate rattern durch die Nacht, um der Dunkelheit ein bisschen Licht abzutrotzen. Es gilt dem Abriss wenigstens ein bisschen bunte Lebensqualität entgegenzusetzen. Der Libanon, ein chaotisches, aber traumhaft schönes Land.
Hallo Tarik, mir gefällt dein Schreibstil. Erfrischend und locker. Was kannst du noch im Libanon empfehlen? Gibt es ein paar bestimmte Dinge zu beachten?
Danke dir!
Vanessa
Hi Vanessa,
sorry, ich bin dabei den Blog umzubauen, daher die späte Antwort. Derzeit ist nicht ratsam in den Libanon zu reisen.
Biblos ist aber eine schöne kleine Hafenstadt. Auf dem Weg dahin gibt es eine Seilbahn, so gibt es Beirut von oben und das Meer zu Füßen.
Busse sind super billig. Private Taxis Verhandlungssache und auch nicht viel schneller.
Viele Grüße, Tarik