Die Quadratur des Kreises ist ein schweres Unterfangen, den Mazedonierinnen ist sie gelungen. Frauen mit markant-eckigen Gesichtern, Schönheit im klassischen Sinne sieht anders aus. Eine gescheitere Laune der Natur, bei der die Mazedonierinnen das kürzest mögliche Stöckchen in der Attraktivitäts-Lotterie gezogen haben. Gott schuf die Welt und am 7. Tag ruhte er. Entweder war genau an diesem Sonntag gerade Mazedonien dran, oder Mazedonien hatte frei. Es ist kein hübsches Volk, aber ein lebensfrohes.
Der Widerspruch dieses Landes ist ohnehin nur mit Humor zu ertragen. Wenn es überhaupt gezahlt wird, hat der Mazedonier ein durchschnittliches Monatseinkommen von 365 €. Das ist zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Anstatt Geld in Bildung und Förderung der Wirtschaft zu pumpen, wurden 600 Mio. € für den inoffiziellen Titel „Hauptstadt des Kitsch“ verballert. Ein Prestigeprojekt der Regierung. Sinn- und gedankenlos. Die Modernisierung alter Zentren ist für jeden Städteplaner eine Herausforderung. Nur die Schönheitsoperation „Skopje 2014“ ist dermaßen lächerlich daneben, dass es schon wieder interessant macht.
Angeblich gibt es für jeden Tag im Jahr eine Statue. Griechische Säulen oder Französische Triumphbögen neben kommunistischem Betonblöcken – Skopje verbindet wahllos Epochen. Einer der Gründe für diese gewagten Bausünden, könnte das Erdbeben von 1963 gewesen sein. 80% der Stadt und viele historische Bauten sind damals komplett zerstört worden. Den Wettbewerb zum Wiederaufbau Skopjes hat der japanische Architekt Kenzo Tange gewonnen, und Skopje seinen fantasielosen Brutalismus in Beton gegossen. Mit dem Kitsch-Projekt „Skopje 2014“, sieht die Stadt heute aus wie auf Botox.
Wer das alte Skopje erleben will, muss auf den Old Bazaar. Der alte Basar von Skopje hat mehr Bling Bling als die Nobelstraßen von Hamburg und München zusammen. Der Aktienkurs von Gold stagniert derzeit, in Skopje ist er im Allzeit-Hoch. Aber neben dem goldigen Gesicht, gibt es eine weitere Facette. Die Steinbrücke trennt das alte vom neuen Skopje. Auf der einen Seite der Vardar leben die Albaner, auf der anderen Seite die Mazedonier, dazwischen die Sinti & Roma. Es gibt Muslime und orthodoxe Christen, aber keinen Disput. Kreuz, Kirche, Moschee. Es ist wie es ist, und man kommt miteinander hervorragend klar. Die Welt sollte und könnte an Mazedonien ein Exempel statuieren. So geht friedliches Miteinander. Zugegeben, wer im Alltagskrampf ums Überleben strauchelt, hat grundlegendere Sorgen als religiöse Befindlichkeit.
Apropos Befindlichkeit. Selbst für Nicht-Raucher ist Mazedonien Lungenkarzinom verdächtig. Der blaue Dunst hängt tief und schwer in Kneipen, Bars und Restaurants. Als Nichtraucher wacht man nach einer Nacht in Mazedoniens Clubs mit Joe Cocker Stimme wieder auf, so heftig ist das Passiv-Rauchen. Oder man ist heiser vom Grölen, denn Mazedonier sind textsicher. Voller Inbrunst singen sie alle ihre mazedonischen Lieder. Alle für ein Lied, aber keine Liebe für alle. Jede Clique bleibt unter sich. Männer sprechen Frauen nicht an, und den Ladies scheint die Männerwelt ebenfalls völlig am Arsch vorbeizugehen. Wo normalerweise Testosteron für Wallung im Gockelreich sorgt, herrscht erstaunliche Friedfertigkeit. Alle sind bombig drauf und feiern sich, ihre Lieder, die Kippen und das Leben.
Fairerweise muss auch hier erwähnt werden, dass der mazedonische Mann bei der Quadratur des Kreises ebenfalls nicht auf der Gewinner Seite gestanden hat. Nur die Dame mit Faible für Boxer Visage auf Kanisterkopf mit Bürstenhaarschnitt, bekommt hier nachhaltig Herzrhythmusstörungen.
Mazedonien sieht aus wie eine ramponierte Pralinenschachtel mit dem schalen Geschmack eines Aschenbechers. Nur seien wir ehrlich, wer sich im gleichgeschalteten 21. Jahrhundert auf Paris, London oder NYC stürzt, hat nicht verstanden, dass Reisen immer etwas Unerwartetes, Überraschendes und Ungewöhnliches bieten sollten. Skopje würde selbst auf der Liste der Second Cities keinen einstelligen Tabellenplatz holen, aber es lohnt sich verdammt nochmal sehr nach Mazedonien zu reisen.
Auf dem Vodno, dem Hausberg Skopjes, steht ein weiteres Highlight des grenzwertigen Geschmacks. Ein turmhohes Stahlkreuz. Wenigstens, und das muss man den Mazedoniern lassen, gibt es keine Gewalt im Land.
Hier griechische Arkaden, vergoldete Statuten oder pompöse Fontänen und dort Armut. Im ärmsten Land Europas sind die Sinti & Roma die absoluten Verlierer. Unzählige betteln im Zentrum. Verwahrlost, aber straff organisiert, frieren die Kinder im T-Shirt, um ein paar Denar zu erbetteln, und frisch kann es durchaus werden in Skopje. Die Stadt verschwindet förmlich in einer luftig großen Bergarena.
Skopje, die Hauptstadt des Kitsch ist ein streitbarer Titel, aber besser als gar keiner.
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